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Hoftheater und Theaterplatz im Dresden der Biedermeierzeit

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Das Königliche Hoftheater zu Dresden (Umrißradierung von Gustav Täubert um 1845)

Dresden – Als Besucher im Dresden der Biedermeierzeit, der Hauptstadt des sächsischen Königreichs. Was gab es da nicht alles zu bestaunen: weltberühmte Kunstsammlungen und die Gemäldegalerie, jene als „Balkon Europas“ bewunderte Brühlsche Terrasse mit der großen Freitreppe, die Elbbrücke Pöppelmanns, das Hoftheater Gottfried Sempers, Zwinger, Alt- und Neumarkt mit Frauenkirche und noch weit mehr. Wie aber die so gewonnenen Eindrücke konservieren, welche auch fern der Elbe und noch für lange Zeit das Herz erwärmen sollten?

Die Photographie steckte noch in den Kinderschuhen, für die Postkarte war es noch zu früh, und ein Smartphone bewehrter Massentourismus war so unvorstellbar wie ein Weltraumflug. Allerdings existierte seit dem ausgehenden Mittelalter die Kunstform der Vedutenmalerei, der wirklichkeitsgetreuen Darstellung von Landschaft und Stadtbild. Den Virtuosen von Zeichenstift und Pinsel aber verdanken wir bis ins 19. Jahrhundert hinein eine Vorstellung – immer die älteste und manchmal die einzige – von unseren Städten und Dörfern aus alter Zeit.

Welch Reichtum an Überlieferung ist allein durch den Venezianer Bernardo Bellotto, genannt Canaletto (1722-1780) auf uns gekommen, der das Dresden des Augustäischen Zeitlalters - live und in Farbe – dokumentierte, wie es anschaulicher kaum gedacht werden kann. Auftraggeber der Vedutenmaler aber waren nicht mehr allein Hof und Adel, für deren Repräsentationsbedürfnis erstklassige Künstler engagiert und bezahlt werden konnten. Längst galt es auch den Wünschen des aufstrebendem Bürgertums und dem sich allmählich entwickelnden Tourismus zu entsprechen.

Dafür aber brauchte es keine großen Kunstwerke, vielmehr sachgetreue Abbildungen mit hohem Wiedererkennungswert, die als Radierungen oder später Lithographien vervielfältigt, koloriert und über den Buchhandel an das Publikum gebracht wurden. Gefragt war das richtige Gespür, um das Schöne, Typische und Repräsentative gekonnt in Szene zu setzen. Voraussetzung waren Persönlichkeiten, die die künstlerische Produktion auf spezielle Bedürfnisse des Marktes abzustimmen und die unternehmerische Seite auszufüllen in der Lage waren, Menschen wie - Gustav Täubert.

Der Sohn des Kunstmalers und Adrian-Zingg-Schülers Carl Gregor Täubert wurde am 21. Februar 1817 in Dresden geboren und studierte 1831 bis 1836 an der Kunstakademie, unter anderen bei Carl August Richter. Im Anschluß reiste er in Sachsen umher und zeichnete Bildvorlagen für namhafte Sammelwerke („Saxonia“, 1835-41; „Sachsens Kirchen-Galerie“, 1837-48; „Das Vaterland der Sachsen“, 1839-44 ). 1846 machte sich Täubert selbständig und gründete einen eigenen Kunstverlag. Nunmehr entstanden einige Tausend Lithographien, Souvenierblätter, zuvor aber Umrißradierungen, wie auch jenes, um 1845 in mehreren Variationen gedruckte Blatt: „Das Königl. Hoftheater zu Dresden“.

Dessen sonnenüberstrahlter Mittelpunkt ist das neue Hoftheater von Gottfried Semper. Nur wenige Passanten sind zugegen, doch unübersehbar verharren Miltärs mit aufgeflanztem Seitengewehr, die Wache befindet sich gleich nebenan, breitbeinig vor dem Musentempel. Begonnen 1838, war der Nachfolgebau des bisherigen Morettischen Hoftheaters im Stil der Neorenaissance errichtet und am 13. April 1841 mit Webers „Jubelouvertüre“ eröffnet worden. Hier wirkte Richard Wagner als Kapellmeister, fanden die Uraufführungen einiger seiner Musikdramen statt. Im September 1869 wird das Gebäude bei einem Großbrand untergehen. Der Spielbetrieb läuft in in einem Interimsbau weiter, bis 1871-1878 eine neues Opernhaus ersteht, das 1945 im Bombenhagel sein (vorläufiges) Ende findet.

Im Vordergrund ragt links der wuchtige Sockel der Katholischen Hofkirche auf, in deren Schatten emsiger Betrieb auszumachen ist. Zwei respektheischende Hofchaisenträger* in gelben Leibröcken sind bereits gestartet, um per Muskelkraft ein Edelfräulein durch die Residenz zu schleppen. Geduldig warten älteren Damen, eine hat es sich auf ihrem Koffer längst bequem gemacht, dann auf die nächste Sänfte, deren zweiter Träger wohl noch durch ein natürliches Bedürfnis verhindert ist.

Halbrechts flaniert ein elegantes Schwesternpaar, begleitet von Mutter und Bräutigam, gen Ausgustusbrücke, während die stadteinwärts reitenden Herren für den weiblichen Liebreiz entschieden keinen Blick zu haben scheinen. Ganz rechts im Bild die Zuckersiederei des reich gewordenenen Drechslermeisters Heinrich Wilhelm Calberla (1774-1836), eines der ersten bedeutsamen Industrieunternehmen der Landeshauptstadt, deren geräumiges Lokal wegen seiner guten Küche vom Theaterpublikum geschätzt wurde. 1853 entwickelt sich daraus das Hotel Bellevue (1945 zerstört), dessen klangvoller Name 1985 in einem Hotelneubau der Inneren Neustadt wiederauferstehen wird.

Es ist ungewiß, bis wann Gustav Täubert mit seinem Verlag den Zeitläuften zu trotzen vermochte. Die aufkommende Photographie (und das sich ab 1870 ausbreitende, neue Medium Postkarte) werden seine langjährigen Dienste nach und nach entbehrlich machen. Der „Gesammt-Verlags-Katalog des Deutschen Buchhandels“ verzeichnet noch 1881 auf immerhin 6 Seiten ein vielseitiges Programm mit Ansichtenalben und Erinnerungsblättern aus Dresden und der Sächsischen Schweiz, aber auch Teplitz, Prag, der Oberlausitz, Schlesien, dem Glatzer Gebirge, Posen, dem Harz, ein Rheinalbum, Ansichten vom Ahrthale, Thüringen, dem bayrischen Hochgebirge und Tirol.

Am 5. Februar 1913 ist der Verleger, dessen lebenslanges Thema die Dokumentation des vorindustriellen Sachsens war, im 96. Lebensjahr in Dresden gestorben. In seinen Bildern vermag er es noch immer, jene romantische Ära zum Leben zu erwecken, gedenken wir dankbar und mit Wehmut einer beschaulichen Epoche.

*Zu den Dresdner Chaisenträgern geht es hier: (https://www.sachsen-depesche.de/kultur/die-dresdner-chaisenträger-ein-ganz-besonderer-berufsstand.html)

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