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Die erste deutsche Flugzeugführerin – eine Sächsin aus Laubegast bei Dresden

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Gedenktafel an Melli Beeses Geburtshaus in Dresden-Laubegast

Dresden – Am 13. September vor 130 Jahren wurde Amelie Hedwig „Melli“ Beese in Laubegast bei Dresden geboren. Als einzige Tochter – unter den vier Kindern des Architekten Karl Richard Beese – genoss das begabte Mädchen mit den braunen Augen und braunem Haar eine unbeschwerte Kindheit und brillierte schon in der Schule mit außergewöhnlichen Leistungen. Um Künstlerin zu werden, studierte sie von 1906 bis 1909 an der Königlichen Akademie in Stockholm Bildhauerei und unterhielt eigene Ateliers in München und Dresden.

Schon damals von Berichten über die „Aviatik“, den noch jungen Luftsport, fasziniert, wurde das in Schweden erlernte Hochseesegeln ihre große Leidenschaft. Die Sehnsucht, selbst fliegen zu können, wurde schließlich übermächtig. Die junge Frau kehrte nach Deutschland zurück, besuchte am Dresdner Technikum Vorlesungen in Mathematik, Mechanik, Schiffbau und Flugmechanik und entwarf, noch ohne große technische Vorkenntnisse, ein Flugboot.

Inspiriert von Raymonde de Laroche, Marie Marvingt und Helene Dutrieu, die als erste Europäerinnen eine Fluglizenz des „Aéro Club de France“ erworben hatten,  ging Melli Beese im November 1910 nach Johannisthal, dem ersten deutschen Motorflugplatz. Damit drängte die zierliche Frau in eine Männerdomäne, hatte manchen Widerstand zu überwinden und wurde zunächst von der „Ad Astra Fluggesellschaft“ als Schülerin angenommen. Durch Robert Thelen und später Hellmuth Hirth (Rumpler-Werke) erhielt sie eine Ausbildung. Bei einem Flug mit Thelen setzte der Motor aus, Fluglehrer und -schülerin stürzten 20 Meter in die Tiefe. Beide überlebten, die Pilotin wurde mit Morphin schmerzbehandelt, was den Beginn einer lebenslangen Sucht auslöste.

Am 13. September 1911, ihrem 25. Geburtstag, erwarb Melli Beese in Johannisthal, auf einer „Rumpler-Taube“, das Pilotenzeugnis Nr. 115 und wurde damit die erste deutsche Flugzeugführerin. Verehrt und umschwärmt, gewann die erfolgreiche Flugpilotin zahlreiche Preise, errang Höhen- und Dauerrekorde und trug viel zur Entwicklung des Luftsports in Johannisthal bei. Mit 825 Metern gelang ihr am 26. September 1911 der Höhenweltrekord für Damen. Im Januar 1912 gründete Beese mit Unterstützung von Karl August Lingner, dem Dresdner „Odolkönig“, in zwei Johannisthaler Schuppen ihre eigene „Flugschule Melli Beese GmbH“. Mit zunächst drei Piloten auf drei, später vier Flugzeugen, suchte sie, den bislang üblichen Schulbetrieb zu straffen und effizienter zu gestalten. Auch wenn die Unternehmerin damit erneut Widersacher auf den Plan rief – während der gesamten Zeit des Bestehens ihrer Flugschule sollte es keinen einzigen Flugunfall geben.

Ein erster Rückschlag war die Nichtzulassung der Flugschule zur „National-Flugspende“, einer Sammlung zur Unterstützung des Flugwesens in Deutschland, wobei bis Ende 1912 insgesamt 7,5 Millionen Reichsmark zusammengekommen waren. Da ein Teil davon in die Ausbildung von Flugzeugführern investiert werden sollte, hatte die – mit der geringen Größe des Beese‘schen Flugzeugunternehmens begründete – Absage dramatische wirtschaftliche Auswirkungen. An der zunehmend militärisch orientierten Pilotenausbildung konnte Beese fortan nicht partizipieren, und „Privatschüler“ gab es bald kaum noch.

Einer ihrer Teilhaber war der Franzose Charles Boutard, den Beese 1913 heiratete. Parallel begann das Paar mit dem Bau von Flugzeugen, entstanden 1914 die 12.000 Mark teure „Melli-Beese-Taube“ mit einem 50-PS-Argus-Motor – und das „Flugboot“. Vor allem auf dieses setzten Beese und Boutard große Hoffnungen und meldeten es für einen im August 1914 in Warnemünde startenden Ostseeflug an. Das fertige Boot lag bereits auf der Warnow, als am 1. August 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach und alle Erwartungen zunichtemachte. Das Boot wurde von den Behörden zerstört, Flugschule und Fabrik mussten geschlossen, Flugplatz und Flugschuppen durften nicht mehr betreten werden. Boutard und Beese (die bei ihrer Heirat die französische Staatsbürgerschaft angenommen hatte) wurden als „feindliche Ausländer“ interniert. Isoliert und deprimiert, erkrankten beide an Tbc, und Beese griff wieder zum Morphium…

Nach Kriegsende kehrte die Flugzeugunternehmerin nach Johannisthal zurück. Ihre Flugzeuge waren demontiert, Deutschland war von den Siegermächten die Aufstellung von Fliegertruppen verboten worden. Nicht nur Beese stand vor dem finanziellen Ruin; auch ihr Mann musste sich seinerseits in Frankreich rechtfertigen, weshalb er während des Krieges in Deutschland geblieben war. Eine von der neuen Regierung erstrittene Entschädigung für Fabrik und Flugzeuge soll Beese in eine Automobilfirma investiert haben, die jedoch in Konkurs ging.

Trotzdem wurde ein Neuanfang versucht. Mit zwei Flugzeugen wollte das Ehepaar Boutard-Beese um die Welt fliegen. Ein ausgedientes Kriegsflugzeug sollte dazu von den Fokker-Werken beschafft werden. Doch woher das nötigte Geld nehmen? Auch die Ehe der beiden Luftfahrtenthusiasten schien den immer neuen Herausforderungen nicht mehr gewachsen.

Zunächst aber musste Melli Beese ihre abgelaufene Fluglizenz erneuern. Bei einem Probeflug am 21. Dezember 1925 stürzte sie ab, fuhr – äußerlich unverletzt – in ihre Pension und erschoss sich. Neben der toten Frau fand man ein Papier mit dem Satz: „Fliegen ist notwendig. Leben nicht.“ Was für ein Schicksal!

In Schmargendorf bei Berlin wurde die außergewöhnliche Frau beerdigt, die Grabstelle ist erhalten und seit 1975 ein Ehrengrab des Landes Berlin. In Dresden-Laubegast trägt eine Straße ihren Namen. An der Außenmauer eines etwas heruntergekommenen, unter Denkmalschutz stehenden Hauses in der Österreicher Straße 84, gegenüber der Schiffswerft, befindet sich seit 1986 eine künstlerische Gedenktafel, die Beeses Züge trägt und an die „erste deutsche Motorfliegerin“ erinnert, die hier vor 130 Jahren geboren wurde.

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